Weg, Fluss, Kreislauf: die Schlaufe
Ist dir dieses Kunstwerk im Treppenhaus schon einmal aufgefallen und hast du jemals darüber nachgedacht? Aus welchem Material besteht es deiner Meinung nach? Metall, Kunststoff, Ton oder Holz?
Werkangaben
Künstler: Jürg Stäuble (*1948)
Titel: Schlaufe
Jahr: 1994
Material: Flugzeugsperrholz
Grösse: Länge 265 cm, Radius 135 cm
Standort: Treppenhaus Neubau vor der Mensa
Weg, Fluss, Kreislauf: Die Schlaufe
Wenn ich über die Schlaufe spreche, fallen mir als Erstes folgende Wörter ein: leicht, enthusiastisch, inspirierend, atemberaubend, luftig, modern und asymmetrisch.
Die feine Holzplastik besteht aus einem kurvigen Band, das um eine imaginäre Röhre mäandert. Es wurde in einem kräftigen, reinen Orange bemalt, das aus Mennige (Rostschutzfarbe) besteht.
Das Werk ist ungegenständlich, seine freie organische Form in Kombination mit der Geometrie des Zylinders kann als individuelle Weiterentwicklung der konstruktiven Kunst angesehen werden. Das Verlassen der oft starren Konzepte der Minimal Art zugunsten von spielerischeren, persönlicheren Lösungen wird manchmal als postminimalistische Haltung bezeichnet.
Was leicht und beschwingt daherkommt, ist das Resultat eines aufwändigen Herstellungsprozesses, wie Jürg Stäuble im Gespräch erläutert: Die Schlaufe besteht aus 0,5 bis 3 mm dünnem Flugzeugsperrholz. Der Arbeitsprozess beginnt mit dem Zeichnen der Form, der die Schleife auf dem Zylinder folgt. Stückweise biegt der Künstler das geschnittene Material entlang des Zylinders und verklebt es Schicht für Schicht, bis die gewünschte Dicke und Stabilität erreicht ist. Damit die Holzplastik beim Aufhängen nicht wackelt oder durchhängt, sind mehrere Schichten erforderlich, die miteinander verklebt und mit Schraubzwingen fixiert werden. Jürg Stäuble arbeitet überwiegend von Hand oder mit Handmaschinen.
In Jürg Stäubles Werken geht es immer sehr stark um Raumwahrnehmung. Daher wusste er, dass das Treppenauge der beste Ort für die Schlaufe sein würde. Dieser offene Raum ermöglicht die Betrachtung von verschiedenen Seiten und Blickwinkeln, was zu unterschiedlichsten Erscheinungsformen des Objekts führt. Der Neubau und das Treppenhaus haben kantige und harte Formen, kühle Farben und Materialien. Die Schlaufe aus Holz hingegen hat eine warme orange Farbe, sie ist geschwungen und wellenförmig. Durch diesen Kontrast sticht sie im Gebäude hervor.
Meine Sicht aufs Werk
Beim Betrachten habe ich tatsächlich das Gefühl, ein Rätsel zu beobachten, das nie ganz gelöst werden kann. Aus jeder Perspektive entdeckt man immer wieder neue Aspekte, zum Beispiel beim Wechsel des Lichts oder des Blickwinkels. Die Form des Kunstwerks bleibt offen für Interpretationen. Objekten wie diesen kann tatsächlich jeder Betrachter eine eigene Bedeutung beimessen. Deshalb trägt es den unverfänglichen Titel «Schlaufe». Ich interpretiere dies als Symbol für Ewigkeit oder einen unendlichen Kreislauf. Beide Ansichten lassen sich formal begründen: Wenn man zunächst nur die beiden Enden betrachtet, kann man einen perfekten Kreis erkennen. Wenn ich die Holzplastik aber von unten betrachte, sieht sie aus wie aus mehreren Unendlichkeitszeichen zusammengefügt.
Jürg Stäuble
Jürg Stäuble wurde am 1. Februar 1948 in Wohlen geboren. Sein Interesse an Kunst begann bereits in frühen Jahren. Schon sein Vater, der Lehrer war, interessierte sich stark für Malerei und stand im Austausch mit Künstlern und Künstlerinnen dieser Zeit. Jürg Stäuble besuchte mit seinem Vater oft Ateliers oder Ausstellungen, beispielsweise im Kunsthaus Aarau oder im Kunsthaus Zürich.
Stäuble war zuerst Lehrer wie sein Vater, dann aber konzentrierte er sich auf seine Arbeit als Künstler. Stipendien ermöglichten ihm in den 1970er Jahren Reisen und freie Arbeitszeit. Er beschäftigte sich mit Land Art und Objektkunst. Bald fand er sein Kernthema als Bildhauer: den freien Umgang mit geometrischen Formen. Er nutzt räumliche Verschleifungen, Durchdringungen, Rotationen und Spiegelungen geometrischer Körper, um die Betrachterinnen zu verblüffen – und um sie zu eigenem Erkunden und eigenen Interpretationen anzuregen.
Serra Kocar, Schwerpunktfach Bildnerisches Gestalten, 2023