Fünf Frauen, fünf Handlungen
Die farbigen Keramikplatten von Verena Müller-Schmid hängen wie Wegweiser neben den Türen, doch mit dem Unterricht haben sie nichts zu tun. Wie kamen sie an die Neue Kanti? Eine Suche auf den Spuren einer unbekannten Schweizer Künstlerin.
Werkangaben
Künstlerin: Verena Müller-Schmid (*1927)
Titel: unbekannt
Jahr: um 1956
Technik: Keramik
Standort: fünf Supraporten in unterschiedlichen Grössen, jeweils circa 40 cm x 40 cm, verteilt im ersten Stock des Altbaus.
Fünf Frauen, fünf Handlungen
Die fünf Keramikplatten von Verena Müller-Schmid schmücken seit der Errichtung des Altbaus 1955 den Gang im ersten Stock. Sie wurden beim Bau direkt in den Verputz der Wand eingelassen. Ursprünglich als «Supraporten» über den Türen gedacht, entschied man sich dann für eine Platzierung neben den Türen, damit sie auf Augenhöhe hängen.
Der damalige Verein der Aargauischen Lehrerinnen hat die Werke gestiftet, das Gebäude wurde als Schulhaus für das Lehrerinnenseminar gebaut. Die Figuren auf den Keramikplatten heben sich als Relief plastisch von der Wand ab. Im leeren Korridor wirken sie fast schon einsam. Dennoch vermitteln die Bilder eine ruhige und harmonische Stimmung.
Die einzelnen vereinfachten Darstellungen zeigen jeweils Frauen, die mit alltäglichen Dingen beschäftigt sind: Wasser tragen, Wasser trinken, sich frisieren, lesen. Die Künstlerin hat dazu Linien in das weiche Material geritzt, die Formen mit Farbe bemalt und die Platten anschliessend gebrannt. Durch diese Sgraffito-Technik sind die Darstellungen mehrheitlich linear, fliessende runde Formen und Schraffuren zeigen das Wesentliche stimmungsvoll. Die Umrisse der Personen dienen oftmals auch als Rand. Selbst die Form der Platten passt sich den Figuren an und ist sehr unterschiedlich – von ungefähr quadratisch bis hochrechteckig. Die Künstlerin hat jeder Platte auch je eigene Farbtöne zugeordnet: monochromes Bräunlich, Grünlich oder kräftiges Rot-Blau. Die fünf Figuren sind vom Kopf bis zur Taille dargestellt. Sie haben einen neutralen Gesichtsausdruck, sind in sich gekehrt. Keine der Frauen schaut böse, traurig oder lacht.
Meiner Meinung nach vertreten die Frauen auf den Platten die vielen Schülerinnen, die unsere Schule besuchen. Sie machen alltägliche Dinge, sind nicht aussergewöhnlich – so kann sich jede angesprochen fühlen. Ich finde, sie sind dennoch auf ihre ganz eigene Art einzigartig und sehr inspirierend.
Verena Müller-Schmid
Verena Müller-Schmid ist im Emmental aufgewachsen. Schon in ihrer Kindheit hatte sie grosses Talent fürs Gestalten. Besonders im Zeichnen war sie begabt. Sie verbrachte viel Zeit zeichnend im Garten. Diesen Bezug zur Natur spürt man in vielen ihrer Werke. Nach der obligatorischen Schulzeit entschied sie sich, dieser Leidenschaft zu folgen. Nach einer Lehre als Keramikerin absolvierte sie die Fachklasse für Keramik an der Kunstgewerbeschule Bern. Anschliessend studierte sie ein Jahr in Paris. Vielleicht erinnert uns deshalb ihr leichter, flüssiger Strich an Zeichnungen von Matisse und Picasso?
In den 1960er Jahren liess sie sich mit ihrem Mann in Erlinsbach nieder. Sie war eine sehr vielseitige Frau und bis ins hohe Alter künstlerisch tätig. Neben der Keramik hatte sie auch viele andere Leidenschaften: Sie malte, nähte, strickte, versuchte sich in immer neuen Gebieten – und kam doch immer wieder zur Keramik zurück.
Sie liebte es, in ihrer Arbeit Geschichten zu erzählen. Nicht in gesprochener oder geschriebener Form, sie zeichnete die Geschichten. Dabei liess sie sich von der Natur, von Tieren, der griechischen Mythologie und der Bibel inspirieren. Neben ihrer keramischen Arbeit illustrierte sie auch Geschichten, meist mit Aquarellfarben.
Verena Müller-Schmid hielt immer viel von Frauen und davon, dass sie den Männern gleichgestellt sein sollten. In ihrer Zeit gehörte sie zu den wenigen Frauen, die einer Arbeit nachgingen, statt Hausfrau zu sein. Sie war hauptberuflich Künstlerin und widmete ihr Leben dem Gestalten.
Elisha Bégue, Schwerpunktfach Bildnerisches Gestalten, 2023