Werk­an­ga­ben

Künst­ler: Heiner Rich­ner (1944 – 2024)
Titel: ohne Titel
Jahr: 1994
Mate­rial: drei iden­ti­sche flache Gesteins­li­nien aus grünem Serpentin
Grösse: je 230 cm Länge, 4.5 cm Höhe, 15 cm Breite
Stand­ort: Wiese zwischen Neubau und Turn­halle, in der Nach­bar­schaft eines Weihers

Ein Hauch von Japan 

Das Kunst­werk von Heiner Rich­ner ist ein subti­ler, aber wirkungs­vol­ler Eingriff: Inmit­ten der orga­ni­schen, leben­di­gen Umge­bung schafft es einen auffäl­li­gen Kontrast durch seine grafisch klaren Formen und scharf­kan­ti­gen Elemente.

Die Anord­nung der läng­li­chen Gesteins­li­nien wirkt auf den ersten Blick belie­big, ohne klare Ordnung. Wenn man die Linien gedank­lich aber verlän­gert, konver­gie­ren sie an einem gemein­sa­men Punkt in der Distanz. Die Abstände zwischen den Elemen­ten vari­ie­ren leicht.

Der grün­graue Serpen­tin­stein inte­griert sich in die Natur und inter­agiert mit ihr. Der Stein hat durch die Verwit­te­rung eine düstere Aura ange­nom­men, die grauen Schat­tie­run­gen und die weis­sen Flecken erzeu­gen eine kühle und melan­cho­li­sche Farb­pa­lette. Die langen Stein­stü­cke sind nicht plan, sondern als leicht erho­bene Drei­ecke ausge­bil­det, so dass in der Mitte eine exakte Linie entsteht, was die Linea­ri­tät des Werkes betont. Die glatt polierte Ober­flä­che des Gesteins spie­gelt das Licht des Himmels, durch die Anschrä­gung der Fläche gar doppelt.

Heiner Rich­ner schuf die Gesteins­ele­mente für diesen Ort an der NKSA, er spricht von einer «Boden­zeich­nung». Damit ist dieser Ort nicht die Kulisse für die Kunst, sondern bildet mit dem künst­le­ri­schen Eingriff zusam­men selbst das Kunst­werk. Diese Auffas­sung von Kunst steht der Bewe­gung der Land Art nahe, die Kunst nicht als Objekt im Museum begreift, sondern als eine bewusste Umge­stal­tung der Natur. Diese Ideen stehen im Zusam­men­hang mit dem Erwei­ter­ten Kunst­be­griff.

Heiner Rich­ner

In den 1970er Jahren war Rich­ner in Berlin tätig und wurde in dieser Zeit von gros­sen inter­na­tio­na­len Kunst­strö­mun­gen beein­flusst, darun­ter Mini­mal Art, Arte Povera und Color­field-Pain­ting. Diese Strö­mun­gen, die in den 1960er und 1970er Jahren ihren Höhe­punkt hatten, arbei­te­ten oft unter Verwen­dung einfa­cher Formen, mit der Reduk­tion auf grund­le­gende, auch kunst­fremde Mate­ria­lien und mit Raum­wir­kun­gen. In Berlin expe­ri­men­tierte Rich­ner mit verschie­de­nen Formen und Strukturen.

Nach seiner Rück­kehr aus Berlin lebte und arbei­tete Rich­ner lange Jahre zurück­ge­zo­gen in einer still­ge­leg­ten Textil­fa­brik ausser­halb von Aarau Rohr, in der Nähe der Aare.

Er lebte auf dem Land, hielt Tiere und setzte sich inten­siv mit der Umwelt ausein­an­der. Diese Verbun­den­heit spie­gelt sich sehr gut in seinen Werken wider, in denen natür­li­che und künst­li­che Elemente mitein­an­der verschmel­zen. Auch das Kunst­werk an unse­rer Schule fügt sich bewusst in die natür­li­che Umge­bung ein und steht in Bezie­hung zum benach­bar­ten Biotop. Dies zeigt Heiner Rich­ners tiefe Verbun­den­heit mit der Natur, die er während seines Aufent­halts in der Aare-Aue bei Rohr entwi­ckelt hat.

Sein künst­le­ri­sches Schaf­fen entwi­ckelte sich in Rich­tung stren­ger, einfa­cher und ruhi­ger Formen, die er in Einklang mit der Umge­bung brachte. Dabei hatte sein Aufent­halt in Japan im Jahr 1981 einen entschei­den­den Einfluss auf seine Arbeit. Dieser Aufent­halt half ihm, seinen Sinn für ästhe­ti­sche Werte und Harmo­nie zu entwi­ckeln und diese in seiner Kunst umzu­set­zen. Das zeigt sich in Werken, die auf geschnit­te­nen, geome­trisch begrenz­ten Formen und Mate­rial-Licht-Spie­ge­lun­gen basie­ren, die von der japa­ni­schen Ästhe­tik und Konzen­tra­tion geprägt sind.

Im «Aargauer Tagblatt» vom Juni 1991 schrieb Anne­lise Zwez: «Heiner Rich­ner ist in Bezug auf die Entwick­lung der Kunst der letz­ten 30 Jahre kein Einzel­gän­ger, aber in Bezug auf die Hektik unse­rer Gesell­schaft ist er sehr wohl ein Einzel­gän­ger, ein Künst­ler, der uns lehrt, dass im Kern Stille ist und dass diese Stille rand­voll sein kann.»

Sein Werk bei uns an der Neuen Kanti verkör­pert Rich­ners Auffas­sung der Harmo­nie von Kunst und Natur. Es gibt einem das Gefühl von Gelas­sen­heit, Frie­den und Entspannung.

Lou Fricker, Schwer­punkt­fach Bild­ne­ri­sches Gestal­ten, 2023